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Altersweisheiten

By Stadtsalat - januari 24, 2018

Wenn man ein bestimmtes Alter erreicht hat, hat man klare Wünsche und weiss auch ziemlich genau, wie man diese in die Tat umsetzten könnte.
In meinem Haushalt liegt das durchschnittliche Alter hierfür, bei zarten 1,5 Jahren. Da mangelt es an manchen Stellen noch an einer dezidierten und differenzierten Argumentation, um die Wünsche auch tatsächlich in die Tat umzusetzen.
Ein Blick hinaus in die Welt offenbart aber, dass es normalerweise so läuft: aus den kurzen Menschen werden zunehmen lange und diese erreichen sodann das Alter des mündigen Bürgers.  Hier wird dann für einige Jahre vernuftbegabt mitgeredet, um sich danach wieder in ein intellektuelles Delirium zurückzuziehen, welches landläufig als 'Altersstarrsinn' bezeichnet wird.
Was sich am Anfang und am Ende des Lebens frappant ähnelt, ist die Argumentationskette. Dabei gilt: je dünner die Argumentation, desto stärker ist der emotionale Eifer.

Es gibt ja zum Beispiel Menschen, die beim Streiten immer dicke rote Adern am Hals kriegen. Das ist sehr interessant anzusehen und Motivation nur ja nicht zu früh nachzulassen. Eine interessante Frage ist ja, ob diese dicken Adern auch noch bei Erwachsenen auftauchen.
Wie viele Streits und Ehekrisen wohl nur aus purer Neugier geführt werden?
Besonders viele dieser Szenen entzünden sich ja an eher grundsätzlichen Dingen. Man wird zum Beispiel einfach alt. Eventuell altert man sogar auf eine ästhetisch nicht besonders vorteilhafte Weise.
Wobei Frauen dabei auch irgendwie den Kürzeren gezogen haben. Nicht nur, dass der heimische Adonis kurzatmig, mopsig und grau wird- nein, man selbst auch. Allerdings kann der Mann sich mit diesen, herrlich sympathischen und lebensbejahenden Eigenschaften, schnell mit graumelierten Schläfen und einem Rollkragenpulli, den Anstrich eines lebenserfahrenden Silberrückens verpassen, während die Weibchen verkrumpelt daneben hocken und dabei versuchen sich mit faltigen Händen die Jugend quasi vom Cremetiegel ins Gesicht zu massieren.

Ganz besonders sichtbar alt wird man ja, wenn auf einmal Menschen die deutlich jünger sind, die Sachen auftragen, die man selbst so mit 15 getragen hat. Und die man dann irgendwann weggetan hat, weil man sie als untragbar hässlich identifiziert hat.

Der nette Nebeneffekt ist allerdings, dass man sich den jungen Leuten wieder auf einmal ziemlich nah fühlt. Man versteht, welche Themen sie berühren und was sie anspricht.

Das ist natürlich ein fataler Irrtum, denn man ist einfach ein hässlicher, peinlicher, alter Sack geworden, der die Jungen mit irgendwelchen abstrusen Themen zublubbert. Und da bezaubernderweise viele der jungen Damen und Herren Anstand und Manieren im Leib haben, lassen sie das auch über sich ergehen. Man sieht aber an dem verdächtigen Funkeln in ihren Augen, dass sie sich im Geiste wahrscheinlich auf einer Karibikinsel befinden, auf der es keine alten Leute gibt.

Falls man sich einer kurzen Selbstreflektion hingeben sollte, wäre man wahrscheinlich nie wieder in der Lage mit Menschen zwischen 12- 25 zu kommunizieren. Daher wird stark von dieser Art Selbstgeisselung abgeraten. Nur dann kann man auch noch in Zukunft zufrieden in den Spiegel schauen und ungebremst weiter schwadronieren.
Das ist übrigens auch die Strategie, die überraschend oft mit graumelierten Schläfen und Rollkragenpullis einhergeht.

Hart an die Grenze kommt man allerdings, wenn man auch noch versucht Slang zu reden. Irgendwann ertappt man sich dabei, dass man tatsächlich glaubt, dass das 'Jugendwort des Jahres' von irgendwelchen real existierenden Menschen benutzt wird und nicht von nerdigen Sprachwissenschaftlern in einem dunklen, feuchten Kellerverlies erdacht wurde.

Damit man einen aber auch, ohne das man den Mund aufgemacht hat, direkt als peinlich erkennen kann, wurde die Kategorie der 'Bohlen- Shirts' erfunden.
Darunter fällt alles was knallbunt ist und mit riesigen Buchstaben oder Aufnähern verziert ist.
Wenn man jemanden erblickt, der solches trägt, weiss man, dass die gedankliche Flucht auf eine Karibikinsel die einzig wahre Exitstrategie ist.

Und während man im Geiste versonnen auf seiner Liege aalt, kann man dabei zugucken wie sich der Gegenüber immer weiter aufpumpt - gleich einem kleinen Maikäfermännchen im Frühling. Die interessante Frage hierbei ist natürlich: wann kommt die dicke rote Ader?
Besondere Erfolgsquoten gibt es, wenn man zwei Exemplare hat, die möglichst unterschiedliche Meinungen vertreten. Fadenscheinige Argumente werden da hin und her gejagt, wie Heissluftballons in einem überraschenden Frühlingssturm. Im weiteren Verlauf verraten glasige Augen und schweissglänzende Stirne, wer hier wohl der Verlierer sein wird.
Irgendwann werden sich aber die Gegner erschöpft in den Armen liegen. Der Sieger wird gekürt und fortan mit nur leicht zerkratzer Würde, aber stolzgeschwellter Brust von dannen tackeln.

Als Zuschauer ist man eigentlich schon fast froh, dass das Schauspiel vorbei ist und nimmt sich natürlich vor, es für sich selbst, unter keinen Umständen, soweit kommen zu lassen.
Aber die nackte, harte Wahrheit ist: man wird es einfach nicht merken. Denn in der eigenen Wahrnehmung ist die eigene Wortgewandheit, in jedem Lebensjahrzehnt, ausschliesslich Zeichen intellektueller Dominanz und niemals nur eine flackerende Nebelkerze.

Aber irgendwann werden die Augen der Zuhörer ein seltsames Glänzen kriegen und man wird im Hintergrund ganz leise das Meer rauschen hören.
Dann weiss man: jetzt ist sie endlich wieder gekommen. Die Zeit, in der man auch mit völlig abtrusen Argumenten seine Wünsche umsetzen darf.

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